Naturentnahmen?

Ingrid

Administrator
Teammitglied
Da im Forum öfter der Begriff "Naturentnahme" gefallen ist und es Fragen dazu gegeben hat, soll hier etwas näher darauf eingegangen werden.
Eine Naturentnahme ist, wie der Name sagt, die Entnahme einer Orchidee direkt aus der Natur, gewöhnlich von einem Baum. Dies grenzt sich ab von der Entnahme aus einer Gärtnerei, die sich dann aber Kauf nennt und gewissen Regelungen unterworfen ist. Naturentnahmen können legal und illegal sein. Illegal ist der Weg: Baum - Koffer - Zollvorbei - Fensterbank - nagehtdoch. Aber es gibt auch legale Naturentnahmen. Das CITES sieht neben den üblichen Anhang Ia, IIa auch Iw, bzw. IIw vor. Während a für artifical (propagated) steht, bedeuted w wild taken, also eine Naturentnahme. Dieses CITES mit dem Zusatz w wird aber nur in seltenen Fällen ausgestellt, z.B. bei einem Forschungsvorhaben, oder Rettungsaktionen, aber auch von manchen (wenigen) Ländern. (Allerdings werden solche CITES nicht immer von der deutschen BfN Behörde genehmigt, d.h. man bekommt trotzdem keine Einfuhrgenehmigung). Fazit: Es gibt also legale Naturentnahmen, die aber eher die Ausnahme sind.
Eine illegale Naturentnahme ist natürlich strafbar, die Pflanzen können konfiziert oder vernichtet werden und theoretisch sind auch alle Nachkommen illegal.
Sind denn Naturentnahmen überhaupt sinnvoll? Unter bestimmten Vorraussetzungen wahrscheinlich ja. Beispielsweise klagen Orchideenfachleute, dass sie eine neue Art nicht beschreiben können, da diese erst gar nicht eingeführt werden konnte und die Beschreibung einer illegal eingeführten Pflanze möglicherweise nicht anerkannt wird. Das ist eine große Hürde für Taxonome.
Auch Züchter sind auf der Suche nach "neuem Blut". Sei es wegen phänotypischen Eigenschaften oder wegen eines neuen Genpools. Es gibt die Theorie, dass sich Kreuzungen über mehrere Generationen aus einem begrenzten Genpool heraus selbst schwächen, d.h. sie wachsen schlechter. Eine Einkreuzung "frischer" Gene kann deshalb vorteilhaft sein.
Ein weitere Punkt wäre die Arterhaltung. Nicht wenige Orchideenarten sind endemisch, prinzipiell selten oder durch Übersammlung fast ausgerottet. In den meisten Fällen besteht dann kaum eine Möglichkeit diese Pflanze einzuführen um sie zu vermehren. Konventionell über einheimische Gärtnereien sind diese Pflanzen nicht verfügbar, bzw. der exportierende Händler bekommt dafür keine Exportgenehmigung. Nun führen Verbote nicht automatisch zu einem Schutz, sondern bestenfalls zu einer Verzögerung, sie sind deshalb langfristig nicht effektiv. Der Artenschutz bei Orchideen basiert im wesentlichen auf Verboten, aber leider noch nicht auf nachhaltigen Nachzuchtprogrammen. Falls aber doch einmal die Rahmenbedingungen für solche Projekte geschaffen würden, könnte man auch hier über (legale) Naturentnahmen nachdenken.
Eine weitere Frage:

Kann man den Pflanzen ansehen, ob es sich um Naturentnahmen handelt?

Nun stammen alle Orchideen aus der Natur, zumindest irgendwann einmal. Die Frage müsste deshalb heißen, kann ich den Orchideen ansehen ob sie unmittelbar der Natur entnommen worden sind?
Um es kurz zu machen, nein. Man kann sich zwar am optischen Eindruck orientieren und plausible Überlegungen anstellen, aber eine 100% Sicherheit ist das nicht. Leichter lässt sich die umgekehrte Frage beantworten, kann ich sehen ob es künstlich vermehrte Pflanzen sind? Üblicherweise wachsen solche Pflanzen unter kontrollierten Bedingungen, d. h. keine/wenige Blattschäden durch Insekten oder Pilze, keine Flechten auf den Blättern und ein insgesamt eher einheitlicher "geordneter" Wuchs. Auch Jungpflanzen und Hybriden lassen sich relativ leicht dieser Kategorie zuordnen, denn beides ist sehr unwahrscheinlich für eine Naturentnahme.
Wie sieht es aber nun aus mit eine angeknapperten Pflanze, krakeliger Wuchs, mit Moos oder Flechtenbewuchs, so als sei sie frisch vom Baum gerupft? Nun muss man sich klar machen woher die Pflanze kommt. Gärtnereien in tropischen Ländern kultivieren ihre Pflanzen gewöhnlich im Freien und meist nur unter einer einfachen Schattierung. Oft werden die Pflanzen aufgebunden, da die Kultur leichter ist und Töpfe fehlen, für den Export werden sie aber wieder runtergerupft (bare roots). Insgesamt ist die Kultur sehr nahe den natürlichen Bedingungen angelehnt und dementsprechend sehen die Pflanzen auch aus. Pflanzen aus solchen Gärtnereien lassen sich kaum von unmittelbaren Naturentnahmen unterscheiden, obwohl es sich formal um künstlich vermehrte Pflanzen handeln kann. Letztlich muss man dann dem CITES Dokument zu vertrauen, denn der einzige Kontrolleur ist die CITES Stelle vor Ort, diese hat noch am ehesten die Möglichkeit alle Rahmenbedingungen in ihre Entscheidung bei einer Exporterlaubnis einzubeziehen.
Ob man nun eine moralische Fragestellung daraus macht, bleibt jedem selbst überlassen. Man kann aber pragmatisch vorschlagen, wenn man eine Naturform hat, egal woher, pflege sie gut, mach Teilstücke, die du weitergibst und versuche eine Samenkapsel zu machen.




Beitrag vom "liben Gast"
 
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